Épisodes

  • Die Behandlung der Borderline Störung #2 – Das Eiermodell
    Nov 14 2025

    In dieser Folge von Erzähl mal setzen wir die Reihe zur Borderline-Störung fort – mit einem weiteren Einblick in die Psychoedukation und therapeutischen Strategien. Nach dem „Hausmodell“ der letzten Episode geht es diesmal um das Eiermodell – ein Bild, das verdeutlicht, warum der Weg aus der Destruktivität heraus so oft von Rückschlägen begleitet wird und warum Fortschritt sich manchmal paradox anfühlt.

    Das Ei steht symbolisch für die Entwicklung in der Therapie: Am unteren Ende finden wir die destruktive Zone – das Chaos, die Verzweiflung, die Selbstabwertung. Von hier aus beginnt der therapeutische Aufstieg: Schritt für Schritt, mit ersten Erfolgen, mit wachsender Hoffnung. Doch anders als viele glauben, wird der Weg nach oben nicht leichter – sondern steiler. Je weiter man sich von der Verzweiflung entfernt, desto intensiver werden die inneren Konflikte.

    Genau hier entsteht ein Dilemma: Wenn Betroffene hören, dass „es gerade richtig gut läuft“, kann das unbewusst Angst auslösen – die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, verlassen zu werden, wieder allein zu sein. Das positive Feedback wird dann nicht als Ermutigung, sondern als drohender Abschied erlebt. Aus Schutz vor diesem Verlust kippt die Stimmung – und der Aufstieg verwandelt sich in einen Absturz.

    Das Eiermodell beschreibt auch die Tendenz zum Alles-oder-Nichts-Denken: Wenn nicht alles gut wird, ist alles schlecht. Wenn Glück nicht vollkommen ist, lohnt sich nichts. Viele erleben an dieser Stelle tiefe Frustration und Wut: Wenn die innere Leere bleibt, obwohl sie sich so bemüht haben, folgt nicht selten ein Impuls zur Selbstzerstörung – Abbruch der Therapie, Selbstverletzung, Drogenkonsum oder impulsive Beziehungsabbrüche.

    Therapeutisch ist wichtig: Diese Abstürze sind nicht Scheitern, sondern Teil der Erkrankungslogik. Sie zeigen, wie früh erworbene Strukturen wirken – insbesondere das Misstrauen gegenüber Stabilität. Ziel ist deshalb nicht, das „Loch“ der Leere zu schließen, sondern darüber zu arbeiten, trotz der Leere zu leben. Das bedeutet: Stabilität von außen aufbauen, ohne Heilungsillusionen zu nähren.

    Das Eiermodell hilft, Rückfälle vorhersehbar zu machen. Wenn Therapeut:innen und Patient:innen gemeinsam verstehen, dass der Weg aus der Destruktivität immer wieder durch Phasen der Instabilität führt, lässt sich verhindern, dass Abstürze als persönliches Versagen gedeutet werden. Stattdessen entsteht die Haltung: „Ich weiß, warum das passiert – und wir gehen weiter.“

    Das Ziel bleibt realistisch: kein Versprechen von Glückseligkeit, sondern mehr Lebensfähigkeit im Alltag – wohnen, Schule oder Arbeit halten, Beziehungen gestalten, Selbstverletzung reduzieren, Drogen vermeiden, Therapie fortsetzen. Keine großen Wunder, aber echte Fortschritte.

    Damit wird das Eiermodell zu einem Werkzeug, um die Dynamik zwischen Aufstieg und Rückfall zu verstehen – und um Halt zu finden, wo vorher nur Kreisen war.

    Wir freuen uns über Rückmeldungen, Fragen und Erfahrungen zu diesem Modell – denn: Vor jedem „Erzähl mal“ steht ein „Ich hör mal“.

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    7 min
  • Die Behandlung der Borderline Störung #1 – Das Hausmodell
    Oct 29 2025

    In dieser Episode schließen wir unseren Symptoms-Block zur Borderline-Störung ab und schlagen die Brücke zur Behandlung. Ausgangspunkt ist eine nüchterne Einsicht: Das klinische Bild ist „bunt“ – vielfältig, wechselnd, kontextabhängig. Kein Podcast kann die ganze Breite abbilden; unser Ziel war, Kernsymptome und typische Selbst- und Beziehungsdynamiken verständlich zu machen, ohne dabei zu vereinfachen.

    Einige Themen – etwa selbstverletzendes Verhalten, akute und chronische Suizidalität oder Suchtmittelkonsum als vermeintliche Affektregulation – streifen wir nur, weil sie eigene, sorgfältige Vertiefungen brauchen. Sie sind jedoch eng mit dem Grundproblem verknüpft: Wenn innere Zustände nicht stabil reguliert werden können, entsteht der Impuls, Leere und Anspannung über äußere Reize zu „managen“ – mit hohem Risiko.

    Wir sprechen außerdem über einen oft übersehenen Faktor im klinischen Alltag: Symptom-Übernahme in stationären Settings. Längere Klinikaufenthalte – vor allem im Jugendalter – können dazu führen, dass Verhaltensmuster von Mitpatient:innen unbewusst übernommen werden. Deshalb empfehlen wir: Stationär so kurz wie nötig (insbesondere bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung), anschließend konsequent in ambulante Strukturen überleiten, wo Alltag, Schule, Ausbildung und Beziehungen als Übungsfelder zur Verfügung stehen.

    Was heißt das für die Behandlung? Zunächst das vielleicht Wichtigste: „Mehr Liebe“ allein heilt nicht. Und ebenso wenig die Gegenbewegung – Rückzug, Ignorieren, Kahlstellen. Menschen mit Borderline-Störung bringen in Beziehungen intensive Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene hervor: Idealisierung und Abwertung, Nähewunsch und Rückzug, Überversorgung und Distanzimpulse wechseln einander ab. Eine „natürlich-intuitive“ Reaktion führt hier oft in Sackgassen. Es braucht professionelle Rahmung, Psychoedukation, klare Strukturen, abgestimmte Teamarbeit – kurz: fachlich begründetes, verlässliches Handeln statt gut gemeinter Spontanpädagogik.

    Therapeutisch sprechen wir vom „langen Weg der kleinen Schritte“: keine Heilsversprechen, sondern überprüfbare Fortschritte auf der Funktionalitätsebene (Schule/Ausbildung, Tagesstruktur, Selbstverletzung unterbrechen, Beziehungen organisieren, Therapiefähigkeit aufbauen). Ein zentraler Hebel ist Sprache: Das frühe, vorsprachliche Erleben, aus dem viele Konflikte stammen, lässt sich heute benennen – und damit regulierbar machen. Zwischen „fühlen → handeln“ schieben wir ein: verstehen, sprachlich unterscheiden, Skills anwenden, Spannung senken.

    Dazu stellen wir unser Hausmodell vor: Viele Betroffene neigen dazu, Angebote (Therapie, Schule, Sozialarbeit, Beziehungen) unbewusst in das „Schwarze Loch“ der inneren Leere zu werfen – als Ersatz für Bindung. Ergebnis: Nichts bleibt, nichts trägt. Im Hausmodell bekommt jedes „Möbelstück“ seinen Ort und seine Funktion: Schule ist Schule, Therapie ist Therapie, Sozialarbeit ist Sozialarbeit. Wir stabilisieren um die Instabilität herum: strukturieren Tagesabläufe, sichern Bildung und Versorgung, klären Rollen – damit das Haus bewohnbar wird, auch wenn es drinnen noch zieht. Erst wenn diese Außenstruktur nicht mehr in die Leere abwandert, kann innere Arbeit greifen.

    Zum Mitnehmen: Borderline ist komplex – aber behandelbar. Mit fachlicher Haltung, guter Psychoedukation, tragfähigen Beziehungen und kleinschrittiger Übung sind heute deutlich bessere Verläufe möglich als noch vor einigen Jahrzehnten.

    In der nächsten Folge stellen wir ein weiteres Behandlungsmodell vor. Unsere Broschüre findet ihr über den Link im Profil – Feedback und Fragen sind ausdrücklich willkommen. Denn: Vor jedem „Erzähl mal“ steht ein „Ich hör mal“.

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    12 min
  • Die Symptome der Borderline Störung #4
    Oct 10 2025

    In dieser Folge von Erzähl mal setzen wir unsere Reihe zur Borderline-Störung fort – diesmal mit einem Blick auf zwei Symptome, die häufig missverstanden werden, aber entscheidend zum Verständnis des Krankheitsbildes beitragen: Dissoziation und psychosenahe Erlebensweisen. Beide Phänomene zeigen, wie tief die frühe strukturelle Störung in Wahrnehmung, Beziehung und Selbstempfinden eingreift.

    Wir beginnen mit der Dissoziation – einer frühen, unbewussten Schutzreaktion des Nervensystems. Wenn Gefühle wie Angst, Wut oder Scham so intensiv werden, dass sie nicht mehr aushaltbar sind, „schaltet“ der Körper auf Notbetrieb. Die Betroffenen wirken dann wie „weggebeamt“: Blick starr, Pupillen weit, kaum Ansprechbarkeit. Das Gehirn trennt das emotionale Erleben vom Hier und Jetzt, um Überwältigung zu vermeiden. Diese Form des inneren Rückzugs schützt kurzfristig, führt aber langfristig zu Isolation, Entfremdung und dem Gefühl innerer Leere.

    Um der Leere zu entkommen, werden häufig starke Reize gesucht: Selbstverletzung, Substanzkonsum, provokative Konflikte oder riskantes Verhalten. Paradox, aber funktional – denn Schmerz, Streit oder Gefahr schaffen wenigstens das Gefühl, etwas zu spüren. Dissoziation wird so zu einem Teufelskreis: Sie schützt vor Überflutung, verstärkt aber die Trennung von sich selbst und anderen.

    Ein zweites zentrales Thema dieser Episode sind psychosenahe Symptome. Wenn die Ich-Struktur – also das innere Gerüst, das zwischen „Ich“ und „Du“, zwischen innen und außen unterscheidet – nicht stabil ausgebildet ist, kann es zu Phänomenen kommen, die an Psychosen erinnern: Misstrauen, paranoide Gedanken („Die reden über mich“, „Die wollen mir etwas“), übersteigerte Selbstbezüge oder kurzzeitige Sinnestäuschungen wie Stimmenhören oder das Gefühl, berührt zu werden. Diese Symptome entstehen nicht aus Wahn, sondern aus der Durchlässigkeit der Ich-Grenzen – dem Verlust der inneren Dichte, die normalerweise Sicherheit und Realitätsgefühl vermittelt.

    Oft bestehen dabei Überlappungen zwischen Borderline-Störung und Traumafolgestörungen. Dissoziation ist auch bei Traumatisierungen ein zentrales Symptom, und viele Menschen mit Borderline-Struktur haben zusätzlich traumatische Erfahrungen gemacht. Das erschwert die Behandlung, weil Trauma- und Beziehungsthemen sich gegenseitig triggern: Sobald Nähe entsteht, tauchen Erinnerungen auf; sobald man Distanz schafft, kehrt die Leere zurück. Therapie bedeutet hier, Balance zu lernen – zwischen Fühlen und Aushalten, Nähe und Schutz.

    Trotz der Komplexität endet diese Folge mit einer wichtigen Botschaft: Die Prognose hat sich verbessert. Durch spezialisierte Therapieformen, besseres Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen und tragfähige therapeutische Beziehungen ist heute deutlich mehr möglich als noch vor wenigen Jahrzehnten.

    Wir laden euch ein, mitzudenken, zu hinterfragen und mitzuschreiben. Welche Beschreibungen helfen beim Verstehen, wo bleibt Unklarheit? Schickt uns eure Fragen und Erfahrungen – denn: Vor jedem „Erzähl mal“ steht ein „Ich hör mal“.

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    11 min
  • Die Symptome der Borderline Störung #3
    Sep 29 2025

    In dieser Folge des Erzähl mal Podcasts setzen wir die Auseinandersetzung mit den Symptomen der Borderline-Persönlichkeitsstörung fort und widmen uns einem besonders schwierigen, aber zentralen Themenfeld: den sogenannten primitiven Abwehrmechanismen. Diese Mechanismen sind keine bewussten Strategien, sondern unbewusste Schutzfunktionen, die dann zum Einsatz kommen, wenn eine stabile psychische Struktur im Laufe der frühen Entwicklung nicht entstehen konnte.

    Im Mittelpunkt stehen drei Phänomene:

    Spaltung: Gefühle und Wahrnehmungen, die eigentlich nebeneinander bestehen könnten, werden als unvereinbar erlebt. Eine Person ist entweder „ganz gut“ oder „ganz schlecht“ – ein differenziertes, ambivalentes Bild ist kaum möglich. Das kann nicht nur das Selbstbild der Betroffenen destabilisieren, sondern auch Beziehungen und sogar ganze Teams spalten. Von außen wirkt das oft wie eine bewusste Manipulation, tatsächlich handelt es sich jedoch um ein unwillkürliches, tief verankertes Muster.

    Projektion: Innere Zustände wie Angst oder Wut lassen sich nicht halten und werden anderen zugeschrieben. „Der andere ist wütend auf mich“ – obwohl es die eigene, nicht regulierte Wut ist. Dieses Phänomen kann so stark sein, dass die angesprochene Person selbst in den Sog gerät und tatsächlich wütend reagiert. Projektion schafft damit kurzfristig Entlastung, destabilisiert aber langfristig Beziehungen.

    Verleugnung: Eine Realität, die zu schmerzhaft oder bedrohlich wäre, wird innerlich „weggeschoben“. Gefühle oder Tatsachen, die schwer auszuhalten sind, existieren im Erleben nicht. Das kann kurzfristig schützen, führt aber dazu, dass notwendige Auseinandersetzungen und Verarbeitung blockiert werden.

    Therapeutisch ist wichtig: Diese Mechanismen sind nicht „falsch“, sondern Überlebensstrategien. Sie zeigen an, wo das Nervensystem überfordert ist und wo differenzierende Fähigkeiten erst Schritt für Schritt erarbeitet werden müssen. Psychoedukation, klare Strukturen, sichere Bindungserfahrungen und die Möglichkeit, Gefühle zu benennen und zu halten, bilden hier zentrale Bausteine.

    Unser Anliegen bleibt: Verständnis fördern statt zu verurteilen. Was von außen widersprüchlich oder „irrational“ erscheint, ist im Erleben der Betroffenen ein ernsthafter Versuch, mit überwältigenden inneren Zuständen umzugehen.

    Wir laden euch ein, mitzudenken und mitzuteilen: Welche Beschreibungen passen, wo braucht es Ergänzungen oder Korrekturen? Schreibt uns gerne eure Gedanken – denn bevor jemand „Erzähl mal“ sagt, braucht es ein aufmerksames „Ich hör mal“.

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    12 min
  • Die Symptome der Borderline Störung #2
    Sep 17 2025

    In dieser Folge vertiefen wir zentrale Symptome der Borderline-Störung und ordnen sie alltagsnah ein. Ausgangspunkt ist eine unbequeme, aber wichtige Annahme: Frühe Resonanzdefizite – also eine unzureichende emotionale Antwort auf die Signale des Säuglings in den ersten Lebensmonaten – können die Grundlage einer „frühen strukturellen Störung“ bilden. Das anzusprechen ist sensibel, weil schnell Schuld- und Schamgefühle auftauchen. Unser Ziel ist kein Fingerzeig, sondern Verstehen: Zusammenhänge sichtbar machen, damit Behandlung zielgerichteter werden kann.

    Wir knüpfen an das Bild des „Säuglings-Nervenkostüms“ an: Kognitiv und körperlich längst jugendlich oder erwachsen – aber in zentralen Bereichen der Emotions- und Impulsregulation noch ohne stabile Selbstberuhigung und Affektdifferenzierung. Das erklärt, warum manche Gefühle nicht „ein Teil des Erlebens“, sondern „alles“ werden: Angst, Wut – und die schwer auszuhaltende innere Leere.

    Im Fokus dieser Episode stehen drei Phänomene:

    • Überlebensangst & Verlassenwerden: Für den Säugling bedeutet Alleinsein potentiell Lebensgefahr. Wenn dieses Muster fortwirkt, wird Nähe zwar ersehnt, aber kaum genossen – denn parallel meldet sich die Erwartung des Verlusts. Daraus entstehen paradoxe Strategien: lieber „vorwegnehmen“ und Beziehungen abbrechen, als das drohende Verlassenwerden auszuhalten.

    • Fehlende Objektkonstanz: Wer emotional gebunden ist, „hat“ die andere Person innerlich – auch wenn sie physisch abwesend ist. Fällt diese Fähigkeit weg, fühlt sich Abwesenheit wie Verschwinden an. In Kombination mit Verlustangst verstärkt das heftige Beziehungsschwankungen und Selbstzweifel.

    • Innere Leere & Affektdifferenzierung: Wenn ein stabiles Bild von sich selbst (Vorlieben, Werte, Körperlichkeit, Sexualität, Orientierung) nicht entstehen konnte, bleibt oft ein Vakuum zurück. Viele Betroffene beschreiben das als quälende Leere, die mit intensiven äußeren Reizen „überstimmt“ werden soll – bis hin zu Selbstverletzung oder suizidalen Impulsen. Von außen wirkt das irrational; im Erleben ist es der Versuch, überhaupt etwas zu spüren oder Kontrolle zurückzugewinnen.

    Therapeutisch bedeutet das: Psychoedukation und Affektarbeit (Gefühle benennen, unterscheiden, an Auslöser binden) sind keine Nebensache, sondern Grundpfeiler. Ebenso wichtig sind beziehungs- und stabilitätsfördernde Rahmenbedingungen, die Nähe ermöglichen, ohne zu überfluten – denn „mehr Liebe“ allein ist keine Lösung, wenn das Nervensystem mit Intensität (auch positiver) überfordert ist.

    Wir laden euch ein, mitzudenken und mitzufühlen: Welche Beschreibungen passen, wo braucht es Korrektur oder Ergänzung? Teilt eure Fragen und Erfahrungen gern in den Kommentaren – denn: Vor jedem „Erzähl mal“ kommt ein „Ich hör mal“.

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    11 min
  • Frühe Resonanz und das Risiko einer Borderline-Störung
    Sep 14 2025

    Wie entsteht eine Borderline-Störung – und warum spielen die ersten 20 bis 24 Lebensmonate eine so entscheidende Rolle?
    In dieser Episode von Erzähl mal geht Dr. Murafi auf einen besonders sensiblen Bereich der frühen Entwicklung ein: die Bedeutung von emotionaler Resonanz zwischen Eltern und Kind – und was passiert, wenn sie ausbleibt.

    Kinder kommen physiologisch betrachtet als „Frühgeburten“ zur Welt und sind in den ersten Lebensmonaten vollständig darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre Signale wahrnehmen, deuten und in eine emotionale Sprache übersetzen. Diese Resonanz hilft dem Kind zu verstehen: Was fühle ich? Wer bin ich? Wie kann ich mich beruhigen?
    Doch was geschieht, wenn diese Resonanz nicht in ausreichendem Maß entsteht?

    Dr. Murafi zeigt auf, dass es nicht um Schuld geht, sondern um äußere und innere Umstände, die Eltern daran hindern können, auf ihr Kind einzugehen – zum Beispiel:

    • eine postpartale Depression, die die Feinfühligkeit und Zuwendung einschränkt,

    • schwere psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen,

    • frühe körperliche Erkrankungen des Kindes selbst, die lange Krankenhausaufenthalte oder Intensivpflichtigkeit erfordern und dadurch Resonanzphasen verhindern,

    • oder auch medizinische Komplikationen wie unerkannte Hirnblutungen, die das Kind in einen reduzierten Reaktionszustand versetzen.

    Bleibt in dieser Zeit die notwendige Resonanz aus, kann das Gehirn – insbesondere der Hippocampus, eine zentrale Struktur für Emotions- und Impulsregulation – nicht ausreichend reifen. Die Folge: ein erhöhtes Risiko, dass sich eine Borderline-Störung entwickelt.

    Besonders tragisch: Diese fehlende Resonanz lässt sich später nicht nachholen. Auch gut gemeinte Versuche, „Liebe heilt alles“, können überfordernd wirken – sogar positive Zuwendung kann als Überstimulation erlebt werden und dieselben Reaktionen hervorrufen wie negative Erfahrungen: Selbstverletzung, Suizidalität oder massive emotionale Krisen.

    👉 In dieser Episode lernst du:

    • warum frühe Resonanz so grundlegend für die psychische Stabilität ist,

    • welche Risikofaktoren die Entwicklung einer Borderline-Störung begünstigen,

    • und warum Betroffene auf Beziehungsangebote oft so ambivalent reagieren.

    🎙️ Dr. Murafi erklärt, warum es so wichtig ist, diese Zusammenhänge ohne Schuldzuschreibung zu verstehen – um Betroffene nicht falsch einzuordnen, sondern fachlich fundiert und langfristig stabil begleiten zu können.

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    6 min
  • Wie entsteht eine Borderline-Störung? Frühe Strukturen und Resonanz in der Entwicklung
    Sep 10 2025

    In dieser Episode widmen wir uns einer zentralen Frage: Wie entsteht eigentlich eine Borderline-Störung? Während der Begriff vielen geläufig ist, bleibt der Blick auf die Entstehungsbedingungen oft oberflächlich. Hier setzen wir an und geben Einblicke in die Konzepte und klinischen Erfahrungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie Walstedde.

    Borderline wird in der psychoanalytischen Tradition auch als „frühe strukturelle Störung“ beschrieben – eine Erkrankung, die tief in die Persönlichkeit eingebaut ist und ihren Ursprung in den ersten Lebensmonaten hat. Entscheidend ist dabei der Hippocampus, eine Hirnregion, die für Affekt-, Impuls- und Emotionsregulation verantwortlich ist und sich nach der Geburt über etwa 20 bis 24 Monate weiterentwickelt. Diese Phase gilt als sensibles Zeitfenster, in dem Resonanz, Bindung und soziale Interaktion von größter Bedeutung sind.

    Doch was bedeutet Resonanz? Ein Kind kommt als „physiologische Frühgeburt“ zur Welt und ist vollständig auf Versorgung, Schutz und emotionale Zuwendung angewiesen. Schreien, Lächeln oder Blicke sind unspezifische Signale, die Erwachsene deuten, übersetzen und emotional zurückspiegeln. Dieses ständige Wechselspiel – Trösten, Halten, Reagieren, Einfühlen – macht es dem Kind möglich, zu lernen: Was fühle ich? Wer bin ich? Wie kann ich mich beruhigen?

    Bleibt diese Resonanz in den ersten 24 Monaten aus, wird das Zeitfenster verpasst. Die emotionale Selbstregulation entwickelt sich nicht ausreichend, und der Mensch bleibt gleichsam im „Nervenkostüm eines Säuglings“ gefangen, auch wenn er körperlich und kognitiv heranwächst. Hier liegt der Kern dessen, was später als Borderline-Störung beschrieben wird: Instabilität, Schwierigkeiten mit Affekten und Beziehungen sowie das Gefühl, im Innersten keine stabile Identität aufbauen zu können.

    Diese Episode erklärt nicht nur die biologischen und entwicklungspsychologischen Hintergründe, sondern macht auch verständlich, warum frühe Interaktionen so prägend sind – und warum sie nicht einfach nachholbar sind.

    👉 Wir laden euch ein, mitzudenken, Fragen zu stellen und Rückmeldungen zu geben. Denn wie immer gilt: Vor jedem „Erzähl mal“ kommt ein „Ich hör mal“.

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    11 min
  • Die Symptome der Borderline Störung #1
    Sep 3 2025

    In dieser Folge unseres Podcasts widmen wir uns den Symptomen der Borderline-Störung – und damit einem der zentralen Themen, wenn es darum geht, das Erleben und die Herausforderungen betroffener Menschen wirklich zu verstehen. Ein Begriff zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Schilderungen: Instabilität.

    Borderline-Betroffene erleben diese Instabilität nahezu in allen Lebensbereichen:

    • Identität: Wer bin ich? Was macht mich aus? Was interessiert mich? – Diese Fragen lassen sich oft nicht stabil beantworten. Vorlieben, Interessen und Selbstbilder wechseln, ohne dass ein verlässlicher Kern entsteht.

    • Affekte und Emotionen: Gefühle schlagen schnell um und sind extrem intensiv. Wut oder Angst werden nicht als Teil des Erlebens empfunden, sondern nehmen den ganzen Menschen ein – man ist die Wut, man ist die Angst.

    • Beziehungen: Kontakte und Partnerschaften sind geprägt von Nähe-Distanz-Schwankungen. Die Angst, verlassen zu werden, führt zu On-Off-Beziehungen, zu klammerndem Verhalten oder vorsorglichem Rückzug – ein Teufelskreis, der Beziehungen enorm belastet.

    • Alltag und Lebenswege: Viele Betroffene tun sich schwer, einen stabilen Tagesrhythmus aufrechtzuerhalten oder kontinuierlich Schule, Ausbildung oder Beruf zu verfolgen. Auch Schlaf-Wach-Rhythmen sind oft gestört.

    Hinzu kommt die Dysregulation der Impulse: Starke Emotionen lassen sich schwer kontrollieren. Wut kann so überwältigend sein, dass sie in Selbstverletzungen, Suizidgedanken oder riskantem Verhalten mündet. Andere flüchten aus Situationen, obwohl sie Nähe und Bindung gleichzeitig verzweifelt suchen. Dieses ständige Schwanken zwischen gegensätzlichen Bedürfnissen verstärkt das innere Chaos.

    All das führt dazu, dass die Borderline-Störung fast alle Lebensbereiche beeinträchtigt: private Beziehungen, schulische und berufliche Entwicklung, soziale Kontakte und nicht zuletzt das Verhältnis zu sich selbst. Für Betroffene fühlt es sich häufig so an, als würde ihnen „der Boden unter den Füßen weggezogen“.

    In dieser Episode erklärt Dr. Murafi, wie sich diese Symptomvielfalt zeigt, warum sie für Betroffene und ihr Umfeld so belastend ist und weshalb es wichtig ist, genau hinzuschauen – ohne vorschnelle Urteile oder Stigmatisierungen. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis zu schaffen und Wege aufzuzeigen, wie trotz der Schwere der Erkrankung Lebensperspektiven und Stabilität entstehen können.

    Wenn ihr selbst betroffen seid, Angehörige kennt oder euch fachlich für das Thema interessiert: Hört rein, teilt eure Gedanken und Fragen und vergesst nicht – vor jedem „Erzähl mal“ kommt ein „Ich hör mal“.

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    4 min